Kastration, Sterilisation bei Hunden

Neue Gedanken und Erkenntnisse zum Thema Kastration
Oktober 2014, Link veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung Herrn Dr. Ralph Rückert, Ulm

http://www.tierarzt-rueckert.de/blog/details.php?Kunde=1489&Modul=3&ID=18951

Kastration, Sterilisation und die Folgen

1. Februar 2001, Artikel entnommen aus Hundezeitung.de 2/2001

Für die meisten Beteiligten ein einschneidendes Thema.

Meist urteilen moralische oder nebenerwerbsträchtige Motive über die medizinische oder verhaltensbiologische Indikation. Es herrscht immer noch das Vorurteil. Die einen meinen, man könne erworbene oder veranlagte Verhaltensstörungen so einfach wegschneiden. Züchter wiederum mögen keine Beschneidung ihrer Geschäftsgrundlage, denn die Fortpflanzung ihrer Zuchttiere ist ihr Metier. Zuerst die Aufklärung, was überhaupt Kastration ist und bewirkt – oder auch nicht. Was der Unterschied zur Sterilisation ist. Und welche Folgen welcher Eingriff hat.

Zuerst der wichtigste Gedanke: Ein Eingriff in das Sein eines Tieres ist nicht gedanken- oder verantwortungslos einfach zu vollziehen. Eine Manipulation in das existentielle Leben von Lebewesen ist höchst sensibel. Wiewohl es Gründe dafür gibt, um Leben zu schonen, oder unerwünschtes Leben zu verhindern. Zu viele Hunde werden aus Rücksichtslosigkeit oder Gewinnsucht in die Welt gesetzt. Nicht wenige landen im Tierheim.

Züchter wiederum „leben“ von der Fortpflanzungsfähigkeit ihrer Rassetiere. Das kann aber kein hauptsächlicher Grund sein, Kastration abzulehnen. Es gibt nur medizinische (darunter eingeschränkt verhaltensmedizinische) und populations-verhindernde Gründe für diesen entscheidenden Einschnitt in das Leben eines Tieres.

Um bei Rüden auch hypersexuelle Dominanz-Aggression einzudämmen, das Streunen zu unterbinden, gar Erkrankungen an den Genitalien zu kurieren, bei Hündinnen unerwünschte Vermehrung zu verhindern, ist die Kastration ein probates Mittel. Auch wenn jeder medizinisch unnötige Eingriff eine Manipulation ist. Mitunter entladen sich sexuelle Triebe überreizter, hypersexueller Rüden an „Ersatzpartnern“ wie Kissen, Stuhl- oder Menschenbeinen. Bei Wiederholungen ist eine Kastration zu empfehlen.

Wichtig: Nach der Neufassung des Tierschutzgesetzes muss der Tierarzt eine nötige Indikation feststellen, bevor er kastriert.

Einige moralfreie Argumente zum Für und Wider des Eingriffs in das hündische Sexualleben.

Was ist Kastration und was Sterilisation?

Begriffs-Erklärung: Kastration kommt aus dem Lateinischen (castratus) und heißt „Entmannung“. Das Ausschalten der Keimdrüsen (Hoden, Eierstöcke) durch operatives Entfernen. Im Unterschied zur Sterilisation (Unfruchtbarmachung) durch Unterbinden der Ausführungsgänge der Geschlechtsdrüsen.

Da geistern auch mittelalterliche Vorurteile noch herum. Eine Biologie- Studentin fragte angesichts einer Kastration eines Hengstes, wieso der Penis noch dranhänge. Oder eine Frau meint, die Hunde würden Schmerzen haben. Wer operiert da denn heute noch bei Haustieren ohne Narkose?

Geschlechtsfähig werden Hunde zu sehr unterschiedlichen Terminen. Kleine, „moderne“ Rassen manchmal schon ab dem fünften Lebensmonat, große, teilweise ursprüngliche Rassen – wie auch Wölfe – viel später, zwischen dem achten und vierzehnten Monat. Bei den Hündinnen ist dann der Zyklus zwischen der ersten „Hitze“ oder Läufigkeit und der zweiten. Der kann ebenfalls sehr individuell sein. Aber die Abstände zwischen den Hitzen bleiben relativ konstant.

Es gibt Hündinnen, die werden nur einmal im Jahr läufig, und welche, bis zu dreimal. Wildhunde werden meist nur einmal im Jahr läufig. Auch die Intensität der „Blutungen“ ist selbst innerhalb von Schwestern sehr unterschiedlich: Zwischen unmerklichem, sogar nur einmalig leicht blutigem Ausfluß bis zum heftigen „Auslaufen“, wobei tatsächlich Windeln nicht zu verachten sind. Die „Hochzeit“ dieser heißen Phase der Empfängnisbereitschaft dauert in der Regel vierzehn Tage.

Aus Rücksichtnahme auf Gesellschaft und Tiere der „Gegenseite“ sollte es selbstverständlich sein, dass Rüden unter Kontrolle gehalten werden, ebenso wie die Hündinnen-Besitzer sich in diesen jeweils drei Wochen vorsehen müssen. Die Folgen eines ungewollten Deckakts in dieser Zeit der vollen Tierheime zu tragen, sind die wenigsten bereit. Aber sie reden dann gern – nur hier – von „Natur“.

Die folgenden Grundregeln und Erkenntnisse sind natürlich immer mit dem behandelnden Tierarzt zu besprechen. Dieser Artikel kann nur eine allgemeine Information bedeuten.

Bei Hündinnen

(Nach dem Tierarzt-Fachbuch „Klinik der Hundekrankheiten“ im Enke-Verlag)
Unterdrückung der Läufigkeit:
„Aus der Sicht der Praxis müssen folgende Begriffe unterschieden werden. Verhinderung der Läufigkeit: totale Unterdrückung der Sexualfunktionen über Jahre hinweg (Kastration oder Depot-Gestagene). Gestagene sind Steroidhormone, die für die Vorbereitung und Erhaltung einer Schwangerschaft bedeutsam sind, aber auch eine schwach androgene (gegengeschlechtliche) Wirkung besitzen. Verschiebung der Läufigkeit: kurzfristiges Hinausschieben einer Läufigkeit um einige Tage oder Wochen. Unterbrechung der Läufigkeit: Unterdrückung einer bereits eingetretenen Läufigkeit.“

Die Autoren des Handbuchs für Tierärzte dazu: „Jeder tierärztliche Eingriff in den Sexualzyklus der Hündin ist mit einem gewissen Risiko hinsichtlich Nebenwirkungen oder Komplikationen verbunden.“

Kastration bei Hündinnen

Zur dauernden Verhinderung der Läufigkeit oder gar Schwangerschaft ist die Kastration in Betracht zu ziehen. Bei Hündinnen genügt es meist, die Ovarien (Eierstöcke) zu entfernen, der Uterus kann ohne Risiko belassen werden.

Sterilisation

Die Hitzesterilisation gilt immer noch als sicherstes Verfahren. Dabei wird das Eiweiß in den Mikroorganismen dauerhaft „denaturiert“ über Abtötungstemperatur. Naß- oder chemische Sterilisation sollte nur speziellen Indikationen vorbehalten bleiben. Peressigsäure tötet alle diesbezüglichen Erreger.

Kastration bei Rüden

Häufigster Grund – neben der Verhinderung der Fortpflanzungsmöglichkeit – ist bei Rüden die Unterbindung oder wenigstens Eindämmung unerwünschter Verhaltensweisen: Streunen, Aggressivität besonders gegenüber anderen Rüden und starke Harnmarkierungen oder gar sexuell krankhaftes Bespringen anderer Lebewesen oder Gegenstände. Gründe können (für beide Geschlechter) auch Erkrankungen an den Geschlechtsorganen sein. Zur Kastration werden dem Rüden die Hoden (Scroten) entfernt und der Samenstrang durchtrennt. Es gibt auch eine hormonale Behandlung der Hypersexualität mit antiandrogener oder zentral blockierender Wirkung.

Nebenwirkungen

Die Ausschaltung der Sexualfunktionen kann durch Nebenwirkungen beeinträchtigt werden: Harnträufeln und Neigung zu erhöhtem Hungergefühl (bei besserer Verwertung!). Kastrierte Hunde verbrennen ihre Nahrung besser, sie fressen zwangsläufig mehr. Dem etwaigen Zunehmen ist mit strikter Futterrationierung zu begegnen, alles andere ist falsches (Selbst-)Mitleid.

Schäfer kastrieren ihre Hüte- oder Herdenschutzhunde-Rüden, die nicht zur Fortpflanzung gedacht sind, damit sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren und nicht von läufigen Hündinnen oder gar Wölfinnen ablenken lassen. So auch die Tibetaner, die ihre sagenumwobenen Territoriums-Wächter namens Do- Khyi nur aus dem Grund kastrieren, damit die Rüden bei der Herde bleiben und nicht einer läufigen Hündin nachsteigen. Auch andere Herdengebrauchshundler machen dies.

Kastration hat vor der Geschlechtsreife eine Verzögerung des Epiphysen- Fugenschlusses zur Folge. Die mächtigen Röhrenknochen wachsen deshalb bei den Kastraten länger als bei unkastrierten Tieren – durch den „eunuchoiden Hochwuchs“. Ein Maremmano-Rüde wurde im siebten Monat kastriert und wuchs auf unübliche 86 Zentimeter – also gute zehn Zentimeter höher als üblich.

Kastration ist sehr different, bei einem Rüden, der ohnehin kein Triebtäter war, deutlich reduzierend, beim anderen, der sexuell triebstark war, tritt kaum eine Milderung ein. Es kommt vor allem auf das Alter des Rüden an, wie er sich verändert. Grob formuliert: Je jünger, desto stärker. Mein Rüde wurde erst kastriert, als eine Welpenhündin zu uns kommen sollte. Da war der Rüde schon gut vier Jahre alt. Er baute nur seine Fortpflanzungsfähigkeit ab. Sexuelle Stimulans war bei ihm danach noch „ansatzweise“ vorhanden. Und er markierte weiter.

Das Sexual-Geruchsempfinden bleibt in dieser Abstufung. Es verschwindet je nach Alter (Erfahrung) des Patienten und mehr oder weniger intensiv nach Dauer der Operation, weil sich Hormonhaushalt und Zusammensetzung nur allmählich umstellen.

Rüden bauen gegenüber Konkurrenten ihre innerartliche Dominanz- Aggressivität nach der Kastration wie auch ihre Fortpflanzungs-Aggression mehr oder weniger ab. Mehr natürlich bei jungen Kastraten. Die territoriale Aggressivität (Wachsamkeit, Schutztrieb) bleibt jedoch erhalten. Psychische Störungen wie zum Beispiel Angstbeißen – durch schlechte Sozialisierungprozesse während der dritten bis zwölften Lebenswoche – bleiben auch, weil das Verhalten nicht nur von Hormonsteuerungen abhängt.

Ebenfalls die Fellbeschaffenheit kann sich ändern. Mein Rüde bekam längeres Deckhaar an unnötigen Stellen, er blieb Rüden gegenüber dominant, vorher war er Freßmäkler, danach fraß er alles gierig. Ich muss höllisch auf reduzierte Rationen und seine Figur aufpassen. Bei älteren Kastraten kann Harnträufeln auftreten.

Der Heilprozeß nach der Operation dauert etwa drei Wochen, die Umstellung des Verhaltens zwischen zwei Wochen und einem halben Jahr.

Warnungen

Ich warne ausdrücklich davor, Kastration als ein Allheilmittel für falsche Haltung oder Verhaltenskorrektur, also wie einen Reparaturkit zu betrachten. Noch schlimmer ist freilich eine vorzeitige Kastration – die vor der Pubertät. Hier wird, meist aus humansexualfeindlichen Motiven, zweifelsfrei tierschändlich gehandelt: eine Entwicklung zur Erwachsenenreife verhindert. Manche Amerikaner tun dies, um Hunde und Katzen sich nicht aus dem „Tierbabyalter“ weiter entwickeln zu lassen (Mammophilie). Manche glauben andererseits gar der unbewiesenen Mär, dass ein kastrierter Rüde schärfer würde.

Es wird oft zu schnell kastriert – oder aus völlig desinformierten, menschlichen Sexualmotiven abgeraten. Wenn aber, soll man wenigstens keine Erziehungsfehler als Hinderungsgrund vorschützen.

Es kann auch schon eine Sterilisation (Durchtrennen des Samenstrangs oder der Eileiter) genügen. Eine Kastration bei Hündinnen verringert andererseits Erkrankungen im Gebärmutterbereich und bei Rüden einen Hodentumor.

Es bleibt – auch nach Beratung von Tierärzten – stets im Ermessen des Halters oder der Halterin. Es bleibt eine Manipulation. Die psychische und physische Gesundheit sowie die Gefahr der unkontrollierten Vermehrung mit nicht vertretbaren Folgen sollten den Ausschlag geben.

Wenn kastrieren, dann nur nach der ersten Hitze oder nach der vollendeten Geschlechtsreife des Rüden. Wenn nicht tiermedizinische Gründe eine andere Entscheidung anraten. Hypersexuelle, also krankhaft sexualgestörte Rüden müssen zum Schutz vor (dabei vergewaltigten) Hündinnen frühzeitig kastriert werden. Alles andere ist tierfeindlich. Wir haben schon genug ungewollte Hundewürfe.

Viele Leute glauben, meist durch moralische Ignoranz und buchstäblichem Irrglauben geleitet, dass eine Kastration gleichzeitig völlige sexuelle Abstinenz oder absolutes Desinteresse bedeutet.

Tierheimleitungen sehen eine Kastration aus verständlichen Gründen anders: Sie kriegen die „ungewollten“ Folgen zu spüren von den Fehlwürfen und – käufen. Es wurden schon Rassehunde erschlagen, weil sie ihrer Natur folgten und ausserplanmässig sich verpaarten: nach eigenem Gutdünken. Wie die Hunde vor der Zeit der Rasseverkäufer.

Diesen nicht manipulierten Verpaarungen haben jedoch die heutigen Hundler die ganze phänomenale Gen-Vielfalt zu verdanken. Und nicht den engstirnigen Inzuchten von Massenzüchtern, die ihre Rassen degenerieren lassen. Auch dieses Thema gehört zum Frage-Bereich: kastrieren lassen oder nicht?

Oder haben wir die Kampfhunde-Hysterie und die bösen, mitunter endgültigen Folgen für die Hunde schon verdrängt?

(C) Hundezeitung.de 2/2001, weitere Themen auch unter www.hundezeitung.de